Von „Alpha E“ zum Deutschlandtakt

Im Personenverkehr zwischen Hamburg und Hannover werden sich das Verkehrsaufkommen und die Anzahl der Reisezüge verdoppeln. Dem trägt der Deutschlandtakt mit der Planung einer Neubaustrecke Rechnung. Mit einem dreigleisigen Ausbau Lüneburg – Uelzen ist eine Verbesserung des Verkehrsangebots gegenüber dem Stand von 2016 nicht möglich. Die Entwicklung der Anzahl der Züge von „Alpha E“ zum Deutschlandtakt zeigt: Die Geschäftsgrundlage der Vereinbarung zu „Alpha E“ ist weggefallen. Mit dem Beschleunigungsgesetz vom 28. Dezember 2023 hat der Gesetzgeber einen Schlusspunkt für diese Entwicklung gesetzt.

Überblick

Selbst wenn die Berechnungen der Befürworter von „Alpha E“ zur Kapazität zutreffen sollten, kann „Alpha E“ einen Zuwachs im Reisezugverkehr nicht verkraften.

Zugzahlen „Alpha E“ und Deutschlandtakt

 

Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 2003

Der BVWP 2003 ist gekennzeichnet durch die Ableitung des Bedarfs aus einer Nachfrageprognose in Form einer Verflechtungsmatrix, die keine konkreten Zugfrequenzen darstellte. Aus der Feststellung, dass die Verkehrsnachfrage nicht auf dem vorhandenen Schienennetz leistbar ist, wurden Neu- und Ausbauprojekte benannt. Eine fahrplanbasierte Analyse war damit nicht verbunden. Im Hintergrund war das politische Ziel wirksam, Fahrzeiten im Fernverkehr zu verkürzen.

Machbarkeitsstudie Deutschlandtakt

Erstmals die Machbarkeitsstudie Deutschlandtakt, fertiggestellt 2015, stellte ein Linienkonzept und Zugfrequenzen auf Hauptlinien dar. Für die Verbindung Hamburg – Hannover wurden 32 Züge pro Tag und Richtung angegeben. Das entspricht einem Halbstundentakt oder 2 Züge je Stunde und Richtung. Hinzu kommt zweistündlich ein Intercity mit Zwischenhalt in Celle, Uelzen und Lüneburg. Die Kantenfahrzeit ohne Zwischenhalt wurde mit 77 Minuten, mit Zwischenhalt 87 Minuten angegeben.
Die Machbarkeitsstudie schlug vor, die Verbindung Hamburg – Hannover ohne Halt „im angenäherten Halbstundentakt“ zu bedienen. Damit wich die Machbarkeitsstudie von dem Ist-Fahrplan ab, der – wie noch heute – eine Bündelung der Fernverkehrszüge vorsieht, um möglichst viele Güterzüge mit wenigen Überholungen über die Strecke zu bringen.

Die Vereinbarung zu „Alpha E“

Am 29. Juli 2014 unterzeichneten Vertreter der DB und Verkehrsminister Lies eine Vereinbarung über die Art und Weise der Bürgerbeteiligung zur Entscheidungsfindung in Sachen für eine Alternative zur „Y-Trasse“. Damit übernahm das Land Niedersachsen die Regie des Bürgerforums. Das spätere Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz, das für die Neubaustrecke Hannover – Bielefeld gilt, hat die Führung der Bürgerbeteiligung ausschließlich in die Hand der Bundesregierung und die von ihr beauftragte Deutsche Bahn gelegt.

„Alpha E“

Das Dialogforum Schiene Nord wurde am 29. Juli 2014 vereinbart, also vor Fertigstellung der Machbarkeitsstudie Deutschlandtakt. Der Start am 13. Februar 2015 lag ebenfalls davor. Da die Machbarkeitsstudie noch nicht beschlossene Politik war, spielte sie für die Beschlüsse des Dialogforums und die anschließende Zusage der DB, „Alpha E“ zu realisieren, keine Rolle. In Vorbereitung des BVWP 2015, später 2016 und genannt „2030“, wurde die Wirtschaftlichkeit von „Alpha E“ geprüft und mit 0,6 negativ bewertet. Eine negativ bewertete Investition darf nach Haushaltsrecht nicht finanziert werden.

Optimiertes „Alpha E“

Erst die Erweiterung des „Alpha E“ um weitere Maßnahmen, insbesondere um zwei zusätzliche Gleise zwischen Hamburg und Hannover, genannt „Optimierung“, ergab eine Wirtschaftlichkeit von 1,0. In dieser Form wurde das Konzept in den BVWP 2030 einbezogen. Dafür wurde das Projekt um mehrere Maßnahmen erweitert:

  • Ausbaustrecke Ashausen – Uelzen – Celle, Höchstgeschwindigkeit 230 bis 250 km/h – also zwei zusätzliche Gleise auf gesamter Streckenlänge -,
  • Ausbau Hannover-Vinnhorst–Celle für 230 km/h,
  • Überwerfungsbauwerk im Bahnhof Verden (Aller),
  • drittes Gleis Langwedel–Bremen-Sebaldsbrück und Bremen Rbf–Bremen-Burg,
  • Blockverdichtung Stubben–Bremerhaven-Speckenbüttel.

Insbesondere die Beschleunigung des Personenverkehrs Hamburg – Hannover brachte einen erheblichen Teil angerechneten des Nutzens.

Bundesverkehrswegeplan „2030“ und Neubaustrecke Hannover – Bielefeld

Der Bundesverkehrswegeplan in der Fassung von 2016 nennt – anders als seine Vorgänger – erstmals Zugzahlen und Fahrzeiten. Die Zahlen sind seit Erstellung des Bundesverkehrswegeplans nicht korrigiert worden.
Genannt werden – je Richtung -: > Quelle
32 Fernverkehrszüge = 2 Züge je Stunde,
382 Güterzüge in 24 Stunden.
Die Anzahl der Regionalzüge wird nicht genannt. Die Berechnungen beruhen aber erkennbar auf einem Regionalzug je Stunde und Richtung.
Die Projekte gemäß BVWP von 2016 wurden in die Projektliste des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (BSchwAG) übernommen, zusammen mit dem Begriff „optimiertes Alpha E“. Das BSchwAG enthielt aber bereits den Hinweis darauf, dass die angelaufene Erarbeitung des Deutschlandstarts weitere Projekte enthalten werde.
Bereits das BSchwAG von 2016 ist also eine klare Absage an den dreigleisigen Ausbau Lüneburg – Uelzen.

Überprüfung des Zielfahrplans gemäß Bundesverkehrswegeplan 2016

Die auf der Basis der Projekte des BVWP erstellte Fahrplan-Matrix wurde im Jahr 2017 veröffentlicht und zeigt die gravierenden Mängel bei der Bildung der Anschlussknoten auf – obwohl bereits eine Beschleunigung vorausgesetzt wurde. Abweichend vom Bundesverkehrswegeplan sah dieser Zielfahrplan bereits insgesamt 3 statt 2 Fernverkehrszüge Hamburg – Hannover vor. Die Fahrzeit ohne Halt wurde mit 67 Minuten errechnet. Das schlechte Ergebnis für die Anschlussknoten veranlasste die Bundesregierung, Verbesserungsvorschläge in Auftrag zu geben.
Wie diese Grafik erkennen lässt, interpretierte der Gutachter SMA das „optimierte Alpha E“ dahin, dass es sich um zwei unabhängig von der Bestandsstrecke befahrbare Gleise handeln solle. Eine vertiefte Analyse des Fahrplans zeigt, dass der Personenverkehr auf einer dreigleisigen Strecke nicht hätte abgewickelt werden können.
Fahrplanmatrix „Alpha E“
Auszug aus dem Zielfahrplan 2030 für „Alpha E“. Zum Vergrößern klicken.

Zielfahrplan Deutschlandtakt, erster Entwurf

Der Zielfahrplan Deutschlandtakt, 1. Entwurf, wurde im Oktober 2018 veröffentlicht. Die vorgegebene Infrastruktur weicht von der vom BVWP ab: Erstmals wird für Fernverkehrszüge Hamburg – Hannover eine Umfahrung von Lüneburg und Uelzen und damit eine Neubaustrecke dargestellt. Die Fahrzeit Hamburg – Hannover bleibt aber mit 67 Minuten gleich, auch die Anzahl der Reisezüge bleibt gleich. Neu wird für die Verbindung Berlin – Rhein/Ruhr erstmals ein Neubau für 300 km/h vorgesehen, weil anders ein integraler Taktfahrplan auf der Ost-West-Achse nicht darstellbar ist. Diese Entscheidung wird die folgenden Entwürfe prägen.
Deutschlandtakt-Zielfahrplan Entwurf 1
Auszug aus dem Zielfahrplan 2030+, 1. Entwurf (2018). Zum Vergrößern klicken.

Zielfahrplan Deutschlandtakt, zweiter Entwurf

Der Zielfahrplan Deutschlandtakt, 2. Entwurf, wurde im Mai 2020 veröffentlicht. Die vorgegebene Infrastruktur für Hamburg – Hannover wird gegenüber dem ersten 1. Entwurf nicht verändert. Zwischen Würzburg und Nürnberg wird eine Neubaustrecke für 300 km/h eingeplant, die die Fahrzeit zwischen diesen Städten auf 30 Minuten reduziert. Damit sollen auch zwischen Hamburg und Hannover 300 km/h schnelle Züge fahren, die hier – trotz des Flachlands – nur eine suboptimale Infrastruktur und eine suboptimale Fahrzeit vorfinden.  Die Fahrzeit Hamburg – Hannover sinkt auf 66 Minuten. Erstmals berücksichtigt der Zielfahrplan auch Trassen für preissensible Reisende (Zuggattung FR, „Flixtrain“) und wird ein Fahrplan für Güterzüge integriert.
Deutschlandtakt-Zielfahrplan, 2. Entwurf
Auszug aus dem Zielfahrplan 2030+, 2. Entwurf (2020). Zum Vergrößern klicken.

Zielfahrplan Deutschlandtakt, dritter Entwurf „Deutschlandtakt“

Der Zielfahrplan Deutschlandtakt, 3. Entwurf, wurde im Juni 2011 veröffentlicht. Nunmehr ist eine vollständige Neubaustrecke vorausgesetzt. Die Anzahl der Züge wächst auf 3,5 je Stunde: Zweistündlich wird ein Zug für preissensible Reisende („Flixtrain“) sowie ein Sprinter Ruhrgebiet – Hamburg hinzugefügt. Eine Verbindungskurve im Stadtgebiet Hannover wird hierfür eingeplant. Die kürzeste Fahrzeit Hamburg – Hannover wird auf 61 Minuten angesetzt. Die Anzahl der Güterzüge wird im Vorgriff auf eine Prognose 2035 erhöht („Flexi-Trassen“). Nunmehr werden die schnellsten Verbindungen Hamburg – Ruhrgebiet und Hamburg – München über die Neubaustrecke Hamburg – Hannover hergestellt.
Deutschlandtakt-Zielfahrplan 3. Entwurf
Auszug aus dem Zielfahrplan 2030+, 3. Entwurf (2021). Zum Vergrößern klicken.

Beschleunigungsgesetz 2023: Zielfahrplan in Gesetz umgesetzt

Mit dem Beschleunigungsgesetz vom 28. Dezember 2023 wurde der Zielfahrplan 3. Entwurf in das BSchwAG integriert, den Begriff „Alpha E“ entfernt und die Neubaustrecke Hamburg – Hannover als „Projektbündel 2“ definiert und damit aus dem Zusammenhang mit anderen Ausbauten gelöst. Weitere Informationen hier.

Die weitere Entwicklung: Noch mehr Züge

Mit dem 3. Entwurf des Zielfahrplans ist die Entwicklung nicht zu Ende. Eine Verdichtung des Sprinter-Angebots Ruhrgebiet – Hannover drängt sich auf (mehr dazu hier). Die Feste Fehmarnbelt-Querung ist in Bau und soll die Fahrzeit Hamburg – Kopenhagen auf 2,5 Stunden verkürzen. Damit würde die Fahrzeit Ruhrgebiet – Kopenhagen auf 5 Stunden schrumpfen und weitere internationale Zugverbindungen ermöglichen. Eine drastische Zunahme des Güterverkehrs wird prognostiziert und wird noch mehr Güterzüge auf die Verbindung drängen.

Fazit: Deutschlandtakt überholt „Alpha E“

„Alpha E“ und die zugehörigen Kapazitätsberechnungen gehören noch in die Zeit, in der niemand einen Deutschlandtakt für möglich gehalten hat. Die Ziele der Bundesregierung haben sich geändert, die Denkstruktur, die Neu- und Ausbauten zugrunde liegt, hat sich grundlegend verändert. Damit – sagt es der Jurist – ist die Geschäftsgrundlage aller Zusagen von 2014 bis 2016 weggefallen. Das Beharren auf „Alpha E“ hat keine rechtliche Grundlage mehr.